Nach dem Bild ist
vor dem Bild

75 Malerinnen aus Leipzig

Zum Sehen geboren, Zum Schauen bestellt.

1. Nach dem Bild ist vor dem Bild

Sepp Herberger* spricht nicht vom Bild, er hält sich und uns einen nachdenklichen Ball vor Augen: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel." Als Augenmenschen können wir nachvollziehen, was er uns hochphilosophisch auf den Punkt kundtun möchte. Nicht nur weil ein Bild beendet oder aus Sicht der Künstlerin oder eines Künstlers fertig gemalt ist, entsteht die so eindeutige wie einleuchtend transitorische Situation "nach dem Bild". Der Prozess oder der Zeitraum des Änderns und der Veränderungen ist abgeschlossen. Dennoch hält sich im "Nach" immer ein resümierendes, aber auch resistentes Fortwirken des "Nicht mehr" (des Gewesenen) und ein fast prophetisches, apodiktisches Hineinwinken ins "Noch nicht" (des Sich-Ereignenden). In diesem zeitintensiven und magischen Zwischenzustand kristallisiert und schwingt vielleicht nur für einige Augenblicke das eigentliche Malen als ein mentales Phänomen. Ein Abstand offenbart sich und eine Annäherung wird virulenter. Es geht um das drängende Wirklichwerden des sowohl aktualisierten als auch unkonkreten "Ist", das permanent seinem Hineinwirken in einen künftigen kreativen Akt Vorschub leistet. Selten hat eine spielerische Formulierung wie Herbergers geniale Sentenz einen so tiefen Erkenntniswert, auch wenn sie als Bonmots im allgemeinen Sprachgebrauch ein wenig zur Floskel herabgestumpft wurde. Durchaus dem Schönen, dem kreativen Prozess zugewandt ist die existentielle Einsicht des Fußballlehrers, auch in unserer Abwandlung, in die Simultaneität der sich relativierenden Zeitmodi: Vergangenheit und Zukunft - kaum jemals schlüssiger und knapper formuliert – werden in eine denkbar stringente und auch ästhetische Abhängigkeitsymbiose zur Gegenwart, dem "Ist", gebracht. Hierdurch bleiben sie aufeinander verwiesen und axiomatisch angewiesen. Dieses scheinbar so lapidarische und unzugängliche "Ist" zwischen dem "Nach" und "Vor" klammert sich ans Verschwinden und wird dennoch von seinem Vorwärtsdrängen massiv in eine ephemere Präsenz katapultiert. Es lässt sich in vielen Komponenten präzisieren, seinem Wesen nach vielleicht auch mit diesen umschreibenden Begriffen: ein Loslassen, das Vorbereiten, das Erwarten, das Zurechtrücken, das immerwährende Suchen und das Neu-(Er)Finden, Träumen und Sich-Konzentrieren, ein vorwegnehmendes Wissen, ein intuitives Begreifen – ganz profan während die alten Farben trocknen, werden die künftigen Farben angedacht und aus der Tube gedrückt. Dann steht man eine Weile in aufmerksamer, ungewisser und ahnender Ruhe vor der Leinwand, mit einem Blinzeln sieht man die Zeit mal lang- mal kurzatmig vergehen und gleichzeitig sich anstauen bis zum ersten Pinselstrich. "Danach" ist das nächste, das neue Bild ersonnen, begonnen im ganz anschaulichen, greifbaren Sinn, es ist anwesend und wird sichtbar, nach und nach. Das entstehende Bild scheint sich allmählich herzuzeigen, aufzublättern, vielleicht sogar zu entblößen, obwohl es ja durch ein Hinzufügen Gestalt annimmt. Das Herbergersche "Ist" gibt es nicht mehr. Vielleicht lässt sich die Zwischenzeit ganz gelassen und ziemlich salopp begreifen als eine Art kurzer Erholungs- und Anspannungsphase, vergleichbar irgendeiner Zigarette danach und der Ruhe vor dem Sturm. In diesem luftigen Kontinuum entscheidet sich auch, aber nicht nur, ob ein weiteres Bild seinen improvisierenden und kalkulierten, guten Fortgang nimmt, sondern auch, ob die Malerei überhaupt gelingen wird. Vor dem nächsten Bild und allen darauffolgenden Bildern. Solange bis das "Nach" überhaupt aufhören wird zu sein. Nach der Malerei.

((Quotenregelung, --- Zitat))

2. Quotendurcheinander

Es gibt Kontingente, Zuteilungen, Zuweisungen, Anteile und Anteilsscheine, auch Quoten. Die Quotenregelung trifft Aussagen über die Quote wie z.B. die Einschaltquote, Gewinnquote, Arbeitslosenquote, Export-, Importquote, Fischfangquote oder die Restquote. Aber wenn es um Kunst geht, gibt es keine plausiblen Quoten, die gefragt oder ungefragt zu erfüllen sind, weder um einen postulierten Idealfall zu entsprechen und herbeizuführen, noch um in der täglichen kuratorischen Praxis ein paritätisches Nullsummenspiel zu betreiben. Weder in Galerien, in Kunstvereinen, Museen, noch auf der Biennale in Venedig oder der documenta, weder in einem kleinstädtischen Rathausfoyer, einem bildbehängten Anwaltsbüro oder auf der grünen Wiese darf eine Quote wie ein beengendes Korsett der Ausstellung umgestülpt werden. Daß sich die numerische Beteiligung von Künstlerinnen und Künstlern am Kunstgeschehen letztlich in etwa ausgleicht, dürfte nicht verwundern, da das Ausbildungs- und Betriebssystem dies schlichtweg zulässt. Es geht ganz allgemein um die Bedingungen und Kräfte unserer Gesellschaft, fast egal welchen Bereich man in den Blick nimmt. Das ominöse spartenspezifische "Betriebs-System" befördert aber auch Ungleichgewichte, daß sich z.B. vielleicht 80 Prozent weibliche gegenüber 20 Prozent männliche Studenten ins erste Kunstgeschichtssemester einschreiben. Und das System ermöglicht, daß Frauenfußball nach wie vor nicht im Zentrum des Interesses eines Fußballfans steht. Warum? Die technischen und taktischen Fertigkeiten scheinen vergleichbar. Doch hat der Frauenfußball keine 100-jähre Erfolgsgeschichte hinter sich, deren Eigendynamik eine globale, hochdiversivizierte Entwicklung im Männerfußball am Laufen hält, ein Perpetuum Mobile etabliert, das wie einen Rattenschwanz ein weltweit unvergleichliches Kapital- und Finanzimperium hinter sich herzieht. Nicht ganz so harte Männer begeistern sich für sportlich härtere Männer und identifizieren sich mit einem Spiel, das wettbewerbsorientiert und durchaus spannend nach Sieg und Niederlage wohlfeil Gewinner und Verteiler sortiert. Und das bereits auf dem Bolzplatz eines Dorfkicks in der Z-Klasse. Man kann schlichtweg nicht Interessen und Begeisterung quotieren. Sicher wird man eine empathische und nennenswerte Zuwendung zum Frauenfußball der Dortmunder Ostkurve nur schwerlich ans Herz legen können.

Was tun, wenn es nicht um den kaum zu reglementierenden Fußball oder die verquotbare Heringsfischerei geht? Wir beschäftigen uns mit Kunst und dem Vermitteln von Kunst. Man sollte hier wahrlich nicht einmal eine ausgewogene Quote festschreiben oder zwanghaft anvisieren. Thema und Intention einer Ausstellung sollten über die Beteiligung von Künstlerinnen und Künstlern entscheiden. Und die unabdingbare Notwendigkeit der künstlerischen Qualität. Die Idee und der Erkenntnisrahmen einer Ausstellung regulieren die Auswahl auch der einzelnen Arbeiten und die kuratorischen Feinabstimmungen. So zumindest könnte es laufen, doch werden die Idealvorstellungen immer wieder unterlaufen von anders gelagerten Interessen, zum Beispiel denen des Kunstmarkts oder des Kunst- und Kulturjournalismus, der in ganz eigenen Verwertungs- und Beschreibungskategorien denkt. Gut, daß es den Handel gibt, aber er selektiert dramatisch und hierarchisiert die merkantilen Blicke auf Kunst und koppelt daran nachgeordnet die inhaltlichen, künstlerischen Aspekte. Messekojen sind nun mal kein Streichelzoo und Galeristen und Kunsthändler leiten nur selten einen Ponyhof. Nur: Werden mehr Künstler mit auf die Messen genommen, verkaufen die sich ja logischerweise auch besser – und das Bild hängt schief und was sich schlechter verkauft kippt aus dem Rahmen. Wer sich nicht hinreichend auskennt, dürfte der kruden Idee verfallen, Männer scheinen ja auch die besseren Künstler zu sein, deshalb hängen ja sie auch in der Überzahl. Seit Jahrhunderten. Die Katze beißt sich an dieser Stelle immer wieder auf Neue in den Schwanz.

Auch wenn der Quotenfreiheit hier das Wort geredet wird, so gilt es dennoch bzw. zudem das Augenmerk pragmatisch darauf zu richten, daß die Quotenpenetranz von 60:40 bis 80:20 nicht wirklich hinnehmbar ist, ebenfalls nicht die vorgeblich gerechte Alibiquote von 51:49. Irgendwann wird es politisch korrekt, verpflichtend zu jeder Gruppenausstellung jedes Alter adäquat mit zu berücksichtigen, Großstädte und Provinz bekommen ihre Quoten, links- und rechtshändige Künstler werden zupackend in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht. Die Quoten würden bei entsprechender Phantasie und einem rein formalen Drang zur Quotenregelung ihre eigene Willkür und Bedeutungslosigkeit produzieren. Man kann nicht darauf warten, "bis alles gut ist", also ein ausgewogenes Pflicht-Verhältnis von Künstlerinnen und Künstlerinnen in jeder Ausstellung mit mehr als drei Teilnehmern eingerichtet wird. Ausgewogenheit hat nichts mit finalem "Gut-Sein" zu tun. Noch weniger sollte ein künstlich ausgeglichenes Gleichgewicht als Lippenbekenntnis dienen, um dann den Mund schließen zu dürfen. Das Bekenntnis zu Chancengleichheit ist kein Bollwerk, hinter dem man sein müdes Haupt und Kuratorenherz verstecken kann, um die künstlerischen Weltläufte an sich vorüber ziehen zu lassen und das wirklich Wichtige, die Qualität, aus den gesenkten Augen zu verlieren. Nochmal: Das Thema – die Sache –, die Qualität und das Erkenntnisinteresse bestimmen im Idealfall die Zusammenstellung und Konfiguration einer Ausstellung. Ohne Frage sind Vernetzung und Kenntnisse des Kurators von ebenso entscheidender Bedeutung und markieren das Profil einer jeden Präsentation oder Sammlungseinrichtung.

In unserer Malerinnen-Ausstellung geschieht das Ungewöhnliche, wenn auch nicht wirklich Außergewöhnliches. Die scheinbare und zugleich offensichtliche Übererfüllung der Quote soll das Quotendenken ad absurdum führen. Die vage Hoffnung besteht, hierdurch den Finger in die Wunde der mangelnden, ja ignorienden Reflexion zu legen oder einigen Kunstbetriebsblinden den Daumen aufs Auge drücken.

"Nach dem Bild ist vor dem Bild" präsentiert 70 Mal genuine Qualität aus erster Hand von in jeder Hinsicht bemerkenswerten Künstlerinnen, die inmitten des zeitgenössischen Kunstschaffens für eine innovativ gelebte Malereitradition stehen. Es wird in Leipzig selbstverständlich auch 70 Künstler oder Maler geben, die vergleichbar gut und herausfordernd arbeiten. Wer aber hat häufiger ausgestellt und womöglich mehr Bilder verkaufen können? Wer wird in den Feuilletons und Kunstzeitschriften zumindest bevorzugt? Selbst wenn es in Leipzig Galerien gibt, in deren Programm sich ausgesprochen viele Künstlerinnen finden, so spricht doch die Empirie für eine unausgewogene Präsenz im großen Kunstbetrieb.

Eine Lyrikerin oder ein Lyriker, die analog wie bildende KünstlerInnen in der gleichen Qualität ernsthaft und anspruchsvoll arbeiten, verdienen – nichts. Wenn sie überhaupt die minimale Chance erhalten, einen eigenen Gedichtband zu veröffentlichen, wird außer einem szeneinternen Flash die Aufmerksamkeit hierfür gleich Null sein und die Autoren verdienen – immer noch nichts.

Wenn wir in dieser Ausstellung ausschließlich Künstlerinnen zeigen, hat dies auch den Grund, die Ausstellung unter ihrem einzigartigen 100%-Aspekt kalkuliert der Anfechtung auszusetzen, aber auch in einer sinnvollen Diskussion dem so häufig kaum hinterfragten Usus zu begegnen, in Gruppenausstellungen und Galerieprogrammen weitgehend Künstler zu bevorzugen. Noch immer. Unsere Argumentation wird immer darauf hinauslaufen, hier vor Ort dem kunstinteressierten Publikum eine Bestandsaufnahme malerischer Positionen vorzustellen, die sich durch hohe Qualität auszeichnen und die ganze Bandbreite der Leipziger Malerei der wenigstens letzten 10 Jahre dokumentieren. Wir gehen auch davon aus, daß wir generell Tendenzen der zeitgenössischen Malerei aufzeigen können, die natürlich nicht nur, aber auch in Leipzig kulminieren.

3. Schulenschlamassel

Ein weiterer Grund für diese Ausstellung ist die Schule.

Malerei ist so komplex wie kompliziert, daß es sich verbietet von Schulen zu sprechen, weil Schulen in der Regel keine Schubladen sind, sondern Institutionen der Gelehrsamkeit und üblicherweise ein Ort der Aus-Bildung, des Lernens, der Wissensvermittlung. Der Begriff "Schule" im kunsthistorischen oder kulturjournalistischen Sinn und Gebrauch versucht Gemeinsamkeiten zu konstruieren, auch zu zelebrieren, die sich letztlich nur unter Umbiegung und Verkürzung der herbeigezogenen künstlerischen Inhalte halten lassen, aber dennoch zum verfestigten Etikettenschwindel avancieren. Im selben Moment, in dem der Begriff "Schule" oder ähnliche begriffliche Vereinnahmungen, hilfreich sein könnten, scheren sie die subsumierten Positionen durch nur über einen marktgerechten Kamm.

Der Begriff, das Etikett "Neue Leipziger Schule" (oder früher z. B. die "Neuen Wilden", "Transavanguardia", "Neo Geo" etc.) ist keine authentische kunsthistorische Einordnung, sondern zugespitzt formuliert eine Reklametafel, ein Preisschild, auf dem steht, ich bin ein Leipziger Maler (also männlichen Geschlechts), es lohnt sich mich zu kaufen, vielleicht auch weil ich ein guter Künstler bin, vor allem aber weil mein Marktwert steigen wird. Sammler, investiert in mich. Der schmale Erkenntniswert unterliegt bei solchen immer dem Signal einer vergleichsweise elitären

Für Malerinnen – wie eigentlich generell für Künstlerinnen – gilt immer das

vorauseilende, wenn auch zumeist vorläufige Gebot des Nachgeordnetseins und Immer-schon-zu spät-Kommens, provozierend formuliert: des geringeren Werts. Natürlich gibt es die nachvollziehbaren, hervorstechenden Ausnahmen, die der Kunstbetrieb zulässt und auch fordert. Und es werden mehr.

Die Qualität der Kunst der Leipziger Malerinnen steht in nichts, in absolut gar nichts und in keinerlei Hinsicht den qualitativen Leistungen und Errungenschaften der Leipziger Maler nach. Weder gestern noch heute. Und: Leipzig ist Berlin ist London ist New York.

Die Malerei in Leipzig, sei es die von Künstlerinnen oder Künstlern, ist außerordentlich substanziell und vielfältig, sie ist von herausragender qualitativer und deshalb auch internationaler Bedeutung. Die Situation beispielsweise in Dresden ist im Vergleich derzeit ernüchternd, um eine wohlwollende Formulierung zu finden. In Städten wie Chemnitz oder Zwickau gibt es noch nicht einmal eine "Situation". Wenn man Glück hat, besucht die Metropole die Provinz. Doch niemals wird dort eine halbwegs belastbare Infrastruktur entstehen, die zur Gründung von Kunsthochschulen oder Galerien führt oder eine handlungsfähige Anzahl von KünstlerInnen "anlockt" und motiviert, sich z.B. in relevanten (Off-)-Projekten zu engagieren. Und eine Schule wird es Zwickau und Chemnitz nie geben, an der Elbe missglückte die Etikettierung einer heutigen Malrichtung als Dresdner Schule, etwas weiter stromaufwärts in Hamburg versuchte man ebenfalls vergeblich eine Schule zu etablieren. In Berlin gelang dies im Bereich des Films, in München sogar im Großraum der Malerei Ende des 19. Jahrhunderts. Und in Düsseldorf auch. Die erfolgreichste und bestgefüllte Schublade im deutschsprachigen Raum war allerdings die Frankfurter Schule im Bereich der Philosophie und Kritischen Theorie. Ach ja, was ist denn die "Alte Leipziger Schule"? Ist in diesem Fall, was alt ist, nicht immer noch ziemlich lebendig und gar nicht veraltet? Leider steht eben schon im virtuellen Profanlexikon Wikipedia geschrieben, daß es zwei Leipziger Schulen gibt, die alte und die neue, beide männerdominiert, es steht also festgeschrieben, wie einmal geschlossene Schulfächer zum immerwährenden Kanon mutieren und Quoten tradiert werden und tradiert werden und tradiert werden …

Unsere Ausstellung "Nach dem ist vor dem Bild" verzichtet jedenfalls auf jede Zuschreibung zu irgendeiner Schule oder auf das Fabrizieren einer neuen Schublade. Es gibt keinen gemeinsamen Nenner außer der Qualität, unter dem sich die Kunst der am Projekt beteiligten Malerinnen subsumieren ließe, allerdings lassen sich wenigstens 70 gemeinsam-verschiedene Nenner finden und womöglich in Worte fassen.

Unsere Ausstellung

Die ausschließliche Konzentration auf die Arbeit von Malerinnen soll in diesem Projekt die unterschiedlichsten Positionen zusammenführen, um insgesamt die qualitative Kraft und das künstlerische Potential vorzustellen, über die aber auch jede einzelne der beteiligten Künstlerinnen für sich verfügt. Also auch auf sich allein gestellt …

Durch die bedeutende Zahl der beteiligten Künstlerinnen ist es möglich, erstmals einen repräsentativen Überblick über die Malerei insgesamt anzustreben und anzubieten. Zur Debatte steht die letzte Dekade. Und die Zeit davor, und danach. Nicht nur jedes einzelne Bild, das gesamte Ausstellungsprojekt hat den Anspruch, die hochkarätige Situation der Malerei in Leipzig generell zu untersuchen. Und noch mehr: Unser Ausstellung zeigt, wie sich junge und jüngere Malerei in diesen Tagen konkretisiert und auffächert, sichtbar macht und sich des Gesprächs nicht nur über Malerei und Kunst annimmt. Sie ist einheitlich uneinheitlich. Und umgekehrt. Sie spricht, so will es scheinen, in unüberschaubar vielen Sprachen. Dieser Eindruck lässt sich durchaus bis zu einem gewissen Grad ordnen, jedoch finden sich hierfür wie gesagt keine Schubladen, die sich nach Belieben herausziehen, füllen, leeren und wieder schließen ließen. Im Wesentlichen stellen wir gewohnte, aber auch neue Beziehungen her zwischen Bildern und damit auf den zweiten Blick auch zwischen den Künstlerinnen. Wie immer in Gruppenausstellungen, erst recht in unserem dreigeteilten Projekt, sind die maßgeblichen gemeinschaftsstiftenden Kategorien, sowohl was die Präsentation als auch das Ergebnis betrifft, das Miteinander, das Nebeneinander und das Gegeneinander, in unserem Fall noch das Nacheinander. Die sich ergebenden Verschränkungen, das ungeahnte Aufeinanderverweisen, aber vielleicht auch die Distanznahmen der Bilder untereinander können das "Funktionieren" der Ausstellung auf verschiedenen Ebenen belegen.

Ein derart umfangreiches, malereibasiertes Projekt wie "Nach dem Bild ist vor dem Bild" kommt selten zustande und dürfte in dieser Form vermutlich einmalig sein. Wir sind sicher, daß auch in der Peripherie Leipzigs, also in Zwickau, die (salopp formuliert) breite "Palette" der hier gezeigten malerischen Auffassungen und Vorgehensweisen weithin eine verdiente und anhaltende Aufmerksamkeit finden wird. Und zurückwirkt nach Leipzig und darüber hinaus. Diese Wirkmechanismen verlangen geradezu auch eine kunsthistorische Bemessung und Einsortierung des komplexen Ausstellungsvorhabens in kunsthistorische Zusammenhänge, solche der Geschichte von spezifischen Überblicksausstellungen und sei es nur in Sachsen oder den Neuen Ländern. Ein forcierter Blick auf die Malerei dieser Tage samt einer explizierenden Zustandsbeschreibung ihrer inhaltlich-thematischen Zusammenhänge und stilistischen Methoden, aber auch das überblickshafte Benennen individueller Positionen und ihre wechselseitige Verortung gehört zur nachwirkenden und vielleicht auch nachhaltigen Beschäftigung mit dem malerischen Horizont, den unsere Ausstellung letztlich nur skizzieren kann. Allerdings mit der hoffentlich verfehlten Erwartungshaltung "nach der Ausstellung ist vor der Ausstellung".

Natürlich wird man nie sagen können, daß einem informierten und aufmerksamen Betrachter jede der hier versammelten Positionen gleichermaßen auffällt und "gefällt", ja allererst in die Augen fällt. Wie sollte das auch möglich sein. Es gibt in unserem Projekt aber keine Abstufungen und keine Hierarchisierungen hinsichtlich der malerischen oder künstlerischen Qualität. Warum? Weil es sie nicht gibt. Sehr wohl aber hinsichtlich der Stile, Formen, Techniken und Themen.

Gegenständliche Positionen sind eindeutig in der Mehrzahl. Keine gleicht der anderen. Man kann also nicht von einer (neu zu konstruierenden) Schule sprechen. So wenig man das genau genommen bei den Malern der ehemaligen, begrifflich scheinbar unauslöschbaren "Neuen Leipziger Schule" tun konnte oder sollte.

Ebenfalls lassen sich die abstrakten Arbeiten nicht subsumieren unter eines der bestehenden oder womöglich zu erfindenden Labels. Die Abstraktion changiert mit aller Kraft zwischen Vordergrund und Hintergrund der Präsentationsweisen und sucht ihre Anknüpfungspunkte bei jenen gegenständlichen Vorgehensweisen, die eindeutig abstrahierende Elemente aufweisen.

Wer in Schubladen denkt, sperrt die Dinge weg. Und definiert nichts. Er wird von der Praxis schon am nächsten Tag überholt, ja überrollt.

Pragmatisches

Eine Selbstorganisation in Künstlerinnen- und Malerinnennetzwerken ist – wie in Leipzig geschehen – sehr sinnvoll und ein hilfreiches Instrumentarium, um einzelnen Positionen zunächst medial, dann in konkreten Ausstellungen mehr Präsenz und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Jeder interessierte Kunstfan ist doch immer auf der Suche nach guter Kunst. Einzige Ausnahme ist das Genie: "Ich suche nicht, ich finde." (Picasso). Doch auch die Sterblichen unter uns werden hier fündig und können erstklassige Malerei entdecken. Weiter so.

Jeder Vermittlungsschritt ist ein guter Schritt. So kann unser gemeinsames Projekt auch nur so erfolgreich, vielschichtig und konsequent sein, je mehr die beteiligten Akteure mit den Plattformen des Projekts arbeiten (Ausstellung, womöglich andere Ausstellungsstation, Webseite, Diskussionsforum, Katalog, Atelierbesuche, Gespräche, weitere Maßnahmen). "Nach dem Bild ist vor dem Bild" soll eben nicht in der Addition von drei Ausstellungen stecken bleiben, sondern in der Summe mit seinen zusätzlich vermittelnden Aktionen und Angeboten einen nachhaltigen Mehrwert für einige Zeit nach 2018 bereitstellen. Freilich, jede Künstlerin artikuliert sich immer selbst auf die ihr eigene Art und im Rahmen ihrer Absichten. Und das ist gut so.

Erfreulich wäre es, wenn unsere Webseite auch als eine Art Nachschlagemedium fungieren könnte. Sie wird zu jeder Künstlerin genügend Angaben bereitstellen, die im Lauf der Zeit auch aktualisiert werden sollen. Ebenso ist geplant, Texte einzuarbeiten, die sich mit Malerei beschäftigen, auch unter Leipziger Perspektive.

Da das Projekt einen Initiator und Organisator aus dem Kunstvereinsbereich hat, der folglich nicht selbst künstlerisch, sondern kuratierend und vermittelnd tätig ist, fehlt jeder kommerzielle Aspekt. Und das auch gut so.

Es wäre zu wünschen, wenn durch die Ausstellung ein weiteres Kennenlernen der Leipziger Malerinnen auch untereinander stattfinden könnte bzw. sich eine die bestehenden Kontakte ergänzende Kommunikation vor Ort in Leipzig, in Ateliers, bei Eröffnungen, zufälligen Begegnungen, zwischen Tür und Angel ergeben würde. Und Leipzig ist groß, erstreckt sich auch jenseits der Spinnerei. Atelierbesuche benötigen Zeit und schaffen Raum. Wer sich auf den Weg macht, bleibt in Bewegung und lernt Neues, manchmal Unerwartetes. Das ist hilfreich.

Die Ausstellung soll das bislang Sichtbare noch sichtbarer machen.

Diese Sichtbarkeit sollte auch an Orten außerhalb Leipzigs wahrnehmbar sein und wahrgenommen werden. Alles Sichtbare ist nur dann ganz sichtbar, wenn darüber gesprochen wird. Könnte gut werden …